Geschichte der Rennbahn „am Keller“
Zusammengestellt von Manfred Marr (2001)
Zusammengestellt von Manfred Marr (2001)
Über 500 Renntage erlebte die 1904 erbaute Nürnberger Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller! Nach den Plänen des Leipziger Architekten Ludwig wurde die erste nordbayerische Piste auf dem für 30 Jahre gepachteten Grundstück der radsportbegeisterten Brauerei-Besitzer Schalkhauser erbaut. Die Erd- und Betonarbeiten wurden von der Nürnberger Baufirma Meyer ausgeführt, die erstmals eine Radrennbahn erbaute!
Auftraggeber war der dafür 1903 eigens von Radsportidealisten gegründete „VEREIN-SPORTPLATZ-Nürnberg e. V.“
Gefeierter Star des Eröffnungsrennens war der Berliner Arthur Stellbrink. Der spätere Deutsche Meister und Europameister gewann vor Oskar Breitling (Frankfurt) und Carl Dill, dem ersten Nürnberger Lokalmatador, das Sprintrennen des Tages.
Der erste Schrittmachermotor – damals noch ein extrem großes und lautes Monstrum – war am 14. Mai 1905 auf der Nürnberger Bahn zu bewundern. Das riesige und laute Spektakel der Steher, die bis zu 100 km/h in ihren Sprints erreichten, riss die Zuschauer von den Sitzen. Arthur Stellbrink, der inzwischen ins Lager der Steher wechselte, und der Nürnberger Andreas Kölbl waren die Sieger der ersten Steherschlachten auf der Nürnberger Radrennbahn.
Noch im Jahr 1905 wurde nach vier weiteren großen Renntagen mit Tausenden von begeisterten Zuschauern und einem Kostenaufwand von 15.000 Mark eine Holztribüne am Ziel der Rennbahn erbaut. 1921 kaufte der VEREIN-SPORTPLATZ das gesamte Gelände für 50.000 Mark und erweiterte die Stehplätze rund um die Piste. Auch im Innenraum der Radrennbahn konnten nun an großen Renntagen rund 3.000 Zuschauer Platz finden. Diese Plätze wurden zum selben Preis wie die Stehplatze verkauft und waren deshalb sehr beliebt. Vor allem im Zielbereich, wo die Fahrer sich vor und nach dem Rennen befanden und fast hautnah beobachtet werden konnten, war stets großes Gedränge. Nur wenige Meter trennten hier die begeisterten Fans von ihren großen Stars. Zu den beliebtesten Fahrern der Noris zählten in den zwanziger Jahren u.a. Ernst Wagner, Sepp Bachhuber, Paul Maul, Georg Schmucker, Hans Sturm und Hans Herbst, die als Sprinter, Allrounder und teilweise auch als Steher zur deutschen Spitzenklasse zählten.
Immer wieder wurden in jenen Jahren auf der Radrennbahn am Reichelsdorfer Keller auch Motorradrennen ausgetragen, die ebenfalls sehr gut besucht waren. Ein schwerer Unfall Überschattete dabei das Rennjahr 1929, als der Münsteraner Oskar Trelle bei einem Rennen tödlich verunglückte.
1927 wurde ein Tunnel zum Innenraum nachträglich erbaut und 1929 – zum 25. Jubiläum – wurden noch Baderäume, Toiletten und Duschen unterhalb des Tribüneneingangs eingerichtet, damals ein sensationeller Luxus!
Im Verlauf der über neun Jahrzehnte führte bis zum 2. Weltkrieg der VEREIN-SPORTPLATZ als Besitzer der Bahn nur insgesamt 10 Jahre (1904-1908, 1910-1913, 1918 und 1934) selbst die Regie. In den übrigen Jahren war die Bahn für die Durchführung von Rad- und zahlreichen Motorradrennen stets verpachtet. Insgesamt 14 verschiedene Pächter, meist aus der Szene der Nürnberger Radsportvereine, sorgten bis in die 50er Jahre dafür, dass sich „am Keller“ die Räder drehten. Zuletzt Hans Heckel, der bis 1956 über zehn Jahre für große Rennen sorgte. Danach übernahm der Verein-Sportplatz unter der Regie seines langjährigen 1. Vorsitzenden Hans Bandele wieder selbst die Programmgestaltung. Bandele, der von 1947-1984 zugleich auch Präsident des Bayerischen Radsportverbandes war, leitete zusammen mit Nürnbergs Altmeister Fritz Scheller fast vier Jahrzehnte das Geschehen auf der traditionsreichen 400-m-Piste.
Nürnbergs Radrennbahn zählte schnell in ganz Deutschland zu den beliebtesten Pisten. Die damals weltberühmten Sprintasse waren ebenso häufig und gerne in Nürnberg am Start wie die internationalen Stars der Steher: Die Sprintweltmeister Willy Arend, Thorwald Ellegard, Edmond Jacquelin, Otto Meyer, Falk Hansen, Walter Rütt, Matthias Engel, Toni Merkens oder Arie van Vliet sorgten ebenso für volle Ränge wie die Steher-Welt- und -Europameister Victor Linart, Paul Guignard, Piet Dieckentman, Tadäus Robl und in den 30er Jahren Georges Paillard und Jean Grassin. Unvergessen vor allem die deutschen Weltmeister Walter Sawall, Erich Metze und Walter Lohmann.
Nach dem 2. Weltkrieg, den die Bahn nur leicht beschädigt überstand, zogen die Steher noch immer die Massen zum Reichelsdorfer Keller. Renntage mit 15.000 Zuschauern waren keine Seltenheit. Zum Teil fuhren die Stars der 30er Jahre noch wacker mit, doch nun begeisterten vor allem auch die Nürnberger Georg Umbenhauer, Fritz Scheller, Georg Voggenreiter, Heinz Jakobi, Hans Mlady und der Herpersdorfer Karl Kittsteiner die zahlreichen Steherfans. Sie lieferten den internationalen Assen wie Dolph Verschueren, Guilermo Timoner, Graham French oder Paul de Paepe viele mitreißende große Schlachten.
Nicht nur die Steher waren in den Nachkriegsjahren „am Keller“ zuhause. Ebenso, wie auf der 1947 in Ziegelstein erbauten ASN-Radrennbahn, zeigten auch auf der Reichelsdorfer Piste die Bahn-Spezialisten ihr Können: Unvergessen die mehrfachen deutschen Meister Fritz Neuser, Werner Löw, Gotthard Dinta, Georg Singer und Willi Fuggerer, der in Tokio auf dem Tandem eine olympische Bronze-Medaille gewann! Bis in die 80er Jahre war die Piste am Keller auch Schauplatz unzähliger bayerischer Meisterschaften und vieler DM. Letzte erfolgreiche Sprint-Stars waren Gerhard Scheller, der zweimalige Vize-Weltmeister und achtfache Deutsche Meister, sowie die Jugend-Meister Peppi Vogl und Andy Herold.
Zu Beginn der 60er Jahre zeichnete sich international ein Rückgang des Profi-Stehersports ab, der auch an der Reichelsdorfer Piste nicht spurlos vorüberging. Karl Kittsteiner und Heinz Jakobi, die beiden letzten großen Lokalmatadore, hatten ihre erfolgreiche Karriere beendet, und auch von den berühmten Assen aus Holland, Frankreich, Italien und Spanien saßen nur noch wenige im Rennsattel. Es fehlte in ganz Europa an Veranstaltungen und als Folge davon auch immer mehr an guten Profi-Stehern. Selbst nationale Steher-Meisterschaften wurden von Jahr zu Jahr immer spärlicher besetzt. Die großen Zeiten der Profi-Steher waren vorbei, zumal man beim Weltverband (UCI) ab 1958 auch den Status „Amateursteher“ eingeführt hatte. Einzelne deutsche Amateure versuchten sich nun in dem für sie neuen Metier. Beim VEREIN-SPORTPLATZ beobachtete man diese neue Entwicklung aufmerksam.
Und wieder war es BRV-Präsident Hans Bandele, der 1968 die Initiative ergriff. Er und Fritz Scheller kauften 10 gebrauchte BMW-Motorräder und unter der Regie des unvergessenen Radsportenthusiasten Hans Göpfert wurden diese 250-ccm-Maschinen in Schrittmachermaschinen umgebaut. Nachdem mit Hilfe des Bayerischen Landessport-Verbandes bereits 1967 die Bahn renoviert wurde und anstelle der alten Holztribüne das heutige Leistungszentrum mit Gaststätte errichtet werden konnte, ging man zuversichtlich in die 70er Jahre.
Einmalig in der Geschichte des deutschen Radsports war 1967/1968 der Nürnberger Versuch, mit Neulingen aus der Region eigene Steher und dazu eigene Schrittmacher auszubilden. Das zunächst von vielen Insidern belächelte Projekt – eine Idee des Tandems Bandele/Scheller – bewährte sich jedoch, und nach kurzer Zeit konnte man 1968 in Nürnberg-Herpersdorf den ersten deutschen Meistertitel eines Steherneulings feiern: Allrounder Horst Duschl holte sich die Goldmedaille der DM zusammen mit seinem Schrittmacher Peter Schindler. Doch dies war nur der Anfang! Ein Jahr später sorgte Duschls jüngerer Bruder Gerhard – ebenfalls an der Rolle von Schindler – für den nächsten Meistertitel, dem dann fast alljährlich weitere folgten: Klaus Burges, Horst Gnas und Roland Renn trugen sich ebenfalls in die Ehrenlisten der DM ein! Nicht zuletzt auch die guten Leistungen der immer routinierter fahrenden fränkischen Schrittmacher wie Udo Empter, Manfred Höflich, Dieter Durst und Toni Rottmann hatten großen Anteil an den vielen Siegen der jungen Lokalmatadore. Vor allem Dieter Durst fuhr als Schrittmacher auf allen Pisten in die absolute Weltklasse.
Bei der Rad-WM 1970 in Leicester errang Horst Gnas (Ring Nürnberger Radfahrer) im packenden Finale die Silbermedaille. Gnas, der ein Jahr später zum RC Herpersdorf wechselte, war bis heute der erfolgreichste Nürnberger Amateur-Steher: Bei den Weltmeisterschaften 1971 in Varese/ltalien, 1972 in Marseille (jeweils mit Schrittmacher Walraave) und bei der WM 1973 im spanischen San Sebastian (mit Schrittmacher Hans Käb) holte sich Horst Gnas dreimal hintereinander verdient die Goldmedaille der WM!
Seit 1987 leitet der gebürtige Münchner und einstige deutsche Tandem-Meister Toni Auer als 1. Vorsitzender des VEREIN-SPORTPLATZ die Geschicke der Nürnberger Radrennbahn. Auer sorgte in den letzten zehn Jahren vor allem dafür, dass der in Franken noch immer sehr beliebte Stehersport erhalten blieb: „Es wäre jammerschade, wenn eine so schöne und traditionsreiche Variante des Radsports sterben würde“, betont Auer, der zugleich jedoch auch alle übrigen Disziplinen des Bahnsports schätzt: „Mehrfach war unsere Bahn auch Schauplatz der gesamten deutschen Bahnmeisterschaften in sämtlichen Disziplinen. Neben den Rennen der Steher muss auch weiterhin der Rennbetrieb für alle Kategorien und Altersklassen weitergehen!“
Ohne Illusionen sieht Toni Auer in die Zukunft: „Es wird sicher noch schwerer werden, den sportlichen Betrieb auf der Radrennbahn fortzusetzen, doch in Zusammenarbeit mit den Vereinen des Bezirkes Mittelfranken wird der VEREIN-SPORTPLATZ auch künftig dafür sorgen, dass sich am Keller die Räder drehen.“ Ein besonders wichtiges Anliegen Auers ist und bleibt es dabei, auch künftig dem Radsportnachwuchs der Region eine Möglichkeit zum optimalen Bahntraining zu bieten: „Die beliebten Trainingsrennen am Mittwochabend von April bis September bieten allen Aktiven vom Schüler bis zum Amateur viele Möglichkeiten“, erklärt der Nürnberger Bahnchef stolz.
Bei allem Idealismus, den Toni Auer und die Mitglieder des VEREIN-SPORTPLATZ seit Jahren aufbieten, ist sich Auer bewusst: „Ohne großzügige Sponsoren, die uns unterstützen, hat der Bahnradsport keine große Zukunft“. Und dafür wird man beim VEREIN-SPORTPLATZ auch in den kommenden Jahrzehnten kämpfen: „Vor allem den Radsportnachwuchs wollen wir auch künftig am Keller schulen und nach besten Möglichkeiten fordern!“ verspricht Toni Auer, der sich bereits für 2002 sein Rennprogramm vorbereitet hat!
Manfred Marr